IFBG-Studien (Nr. 16, Jul 2003)
 

Zum Zusammenhang zwischen Bond Credit Spreads und Ratings

Aktuelle empirische Analysen anhand börsentäglicher Daten des US-amerikanischen Corporate Bond-Marktes sowie eine Überprüfung der Informationsgehalt-Hypothese

IFBG-Studien (Nr. 16, Jul 2003)

Autoren:

Stephan Jortzik
E-Mail: Stephan@Jortzik.de

Sascha Mergner
E-Mail: sascha.mergner@amg-invest.de


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis 

Abkürzungsverzeichnis 

Symbolverzeichnis


1 Einführung 

2 Informationswert von Ratings und Credit Spreads 

2.1 Ratings 

2.2 Ratingprozess 

2.3 Credit Spreads 

2.4 Hypothesen zum Informationsgehalt von Ratings vs. Credit Spreads 

2.4.1 Kapitalmarkteffizienz 

2.4.2 Informationsgehalt-Hypothese 

2.4.3 Preisdruck-Hypothese 
 

3 Ratings und Credit Spreads in der historischen Analyse 

3.1 Datenbasis 

3.2 Durchschnittliche ratingspezifische Credit Spreads 

3.3 Zur Höhe der Credit Spreads im Zeitablauf

3.3.1 Börsentägliche Betrachtung

3.3.2 Trendbetrachtung

3.3.3 Ansteckungseffekte zwischen den Ratingklassen

3.4 Differenzen der Spreads benachbarter Ratingklassen im Zeitablauf

3.5 Zur Streuung der Credit Spreads

3.5.1 Varianzbetrachtung

3.5.2 Bildung der Ersten Differenzen

3.5.3 Betrachtung der Volatilität
 

4 Ratingänderungen und Credit Spreads in der historischen Analyse – Überprüfung der Informationsgehalt-Hypothese

4.1 Untersuchungsansätze zum Einfluss von Ratingmaßnahmen auf die Entwicklung von Spreads in der Literatur

4.2 Untersuchungsgegenstand und Hypothesen

4.3 Datenbasis

4.4 Methodische Vorgehensweise

4.4.1 Konvertierung alphanumerischer Ratingklassen

4.4.2 Benchmark-Betrachtung der Spreadentwicklung

4.4.3 Regressionsmodell

4.4.4 Gruppenbildung

4.5 Diskussion der empirischen Resultate
 

5 Schlussbetrachtung
 

Anlagenverzeichnis

Literaturverzeichnis


Einleitung

Bonitätseinschätzungen privater Ratingagenturen in Form von Credit Ratings für Emissionen, Emittenten, Branchen und Länder spielen an den internationalen Finanzmärkten eine immer größere Rolle. Ratings reflektieren die einer Schuldverschreibung inhärenten (Kredit-) Risiken und stellen somit eine Orientierungsmöglichkeit für Marktteilnehmer bei der Meinungsbildung bzgl. risikoadäquater Prämien für die Überlassung finanzieller Mittel dar. Auch nationale und internationale Aufsichtsbehörden haben die Bedeutung der Ratings erkannt und integrieren diese verstärkt in die Regulierungen zur Banken- und Finanzaufsicht.

Private als auch institutionelle Investoren sehen sich bei der Wahl ihrer Geldanlage mit einer nahezu unüberschaubaren Vielfalt von Investitionsalternativen konfrontiert. Eine risikogerechte Bewertung sämtlicher Anlagemöglichkeiten stellt selbst Profis vor eine unlösbare Aufgabe. Ratings ermöglichen jedoch einen unkomplizierten Vergleich mehrerer schuldrechtlicher Investitionsalternativen, ohne dabei über detaillierte Kenntnis des jeweiligen Schuldners verfügen zu müssen. Das Rating signalisiert dabei in prägnanter Form die Bonitätseinschätzung einer privaten Ratingagentur bzgl. eines bestimmten Emittenten und/oder einer bestimmten Emission. Auf diese Weise wird Investoren eine breitere Informationsbasis zur Verfügung gestellt, wodurch ein effektiverer Kapitaleinsatz ermöglicht wird.

Ratings erfahren ihre Bedeutung insbesondere durch den oft propagierten Einfluss auf die Refinanzierungkosten von Unternehmen. Erhöhte Refinanzierungskosten kommen in Form eines Renditezuschlags gegenüber einer „risikofreien“ Referenzanleihe zum Ausdruck. Dieser Risikozuschlag wird als Spread bezeichnet. Da Spreads einen Kreditrisikobestandteil enthalten, können sie ihrerseits wiederum als Indikatoren für die Bonitätseinschätzung der Marktteilnehmer interpretiert werden. Im Vergleich zur Risikoeinschätzung seitens der Ratingagenturen bieten die börsentäglich ermittelbaren Spreads den Vorteil einer zeitnahen, täglichen Risikobeurteilung. Die Vermutung liegt daher nahe, dass sich der Informationsgehalt von Ratings und Credit Spreads unterscheidet.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine empirische Analyse des Zusammenhangs zwischen Bond Credit Spreads und Ratings auf der Basis von täglichem Datenmaterial für US-amerikanische Unternehmensanleihen. Dabei sollen theoretisch fundierte und statistisch beobachtbare Beziehungen herausgearbeitet, etwaige Veränderungen dieser Beziehungen im Zeitablauf untersucht und die Auswirkungen von einzelnen Ratingmaßnahmen (Event Studies) überprüft werden. Insbesondere die Wechselwirkungen zwischen den Ratingmaßnahmen und den Credit Spreads werden in der Literatur kontrovers diskutiert. Im Zentrum der Diskussion steht dabei der Informationsgehalt der Ratings bzw. die Frage, inwieweit Ratingmaßnahmen dem Geld- und Kapitalmarkt neue, kursrelevante Informationen liefern oder selbst lediglich als Ergebnis eines Informationsprozesses öffentlich verfügbare Informationen zu einer einfach zu interpretierenden Kennzahl verdichten. Eine auf aktuellen Daten beruhende Regressionsanalyse soll neue Aussagen über die Informationsgehalt-Hypothese ermöglichen.

Kapitel 2 erörtert zunächst die Bedeutung von Ratings und Credit Spreads für die Geld-und Kapitalmärkte. Die Betrachtung des Ratingprozesses erschließt Grundlagen für die theoretisch fundierte Diskussion der Informationsgehalt-Hypothese. Wesentlich für die Interpretation der empirischen Analysen ist die Annahme der Kapitalmarkteffizienz, die mit Blick auf die Bond-Märkte in knapper Form diskutiert werden soll.

Kapitel 3 erarbeitet allgemeine Aussagen über den Zusammenhang von Spreads und Ratings anhand von Indizes US-amerikanischer Unternehmensanleihen. In einer Durchschnittsbetrachtung werden zunächst die mittleren Spreadhöhen der letzten 15 Jahre diskutiert. Anschließend werden mit Hilfe deskriptiver statistischer Methoden zeitliche Beziehungen zwischen Spreads und Ratings analysiert. Kausalitätstests dienen der Identifikation möglicher Ansteckungseffekte zwischen den Spreadentwicklungen verschiedener Ratingklassen. Eine Betrachtung der historischen Spreaddifferenzen soll Aufschluss über die Veränderung der geforderten Risikokompensationen der Marktteilnehmer bei Bonitätsverschlechterung geben. Das Kapitel schließt mit einer Analyse der Streuung von Credit Spreads.

Kapitel 4 überprüft die Informationsgehalt-Hypothese auf Basis von 36 historischen Ratingmaßnahmen. Dazu werden mit Hilfe eines Ein-Faktor-Modells und einer Regressionsanalyse 36 Zeitreihen erwarteter Credit Spreads gebildet (Expectations Model). Die erwarteten Spreads werden auf täglicher Basis mit den tatsächlich beobachteten Zeitreihen verglichen. Die Analyse von systematischen Verzerrungen der Residuale erlaubt es, Rückschlüsse auf den Informationsgehalt von Ratings zu ziehen. Grundlegende Überlegungen dieses Ansatzes werden zunächst anhand eines Beispiels illustriert. Nach einer ausführlichen Diskussion der verwendeten Methodik erfolgt die Diskussion der empirischen Resultate. Dabei wird insbesondere auf asymmetrische Anpassungsprozesse der Credit Spreads in Abhängigkeit von Up- bzw. Downgrades vor, während und nach der Bekanntgabe der Ratingmaßnahmen eingegangen.

Die Schlussbetrachtung legt die wichtigsten Ergebnisse noch einmal in zusammenhängender und zusammenfassender Form dar.


Schlußbetrachtung

Im Rahmen dieser Studie wurden Zusammenhänge zwischen Bond Credit Spreads und Ratings mit verschiedenen analytischen und statistischen Methoden auf unterschiedlichem Aggregationsniveau untersucht. Dabei waren zunächst Credit Spreads basierend auf den täglichen Notierungen von Anleihen-Indizes der letzten 15 Jahre Gegenstand der Untersuchung. In einer Durchschnittsbetrachtung wurden die geforderten Risikoprämien der Investoren, die Minima und die Maxima dargestellt. Erwartungsgemäß zeigt sich, dass die Risikoprämien mit abnehmender Bonität überproportional ansteigen. Insbesondere beim Übergang in den Speculative Grade-Bereich wurde der Vermutung nachgegangen, dass die Preisdruck Hypothese hierfür verantwortlich sei. Eine Betrachtung der durchschnittlichen, ratingspezifischen, historischen Ausfallraten ergab jedoch, dass diese ebenfalls überproportional zunehmen und folglich einen größeren Erklärungsgehalt aufweisen. Die Preisdruck-Hypothese konnte allenfalls zur Erklärung von kurzfristigen Überreaktionen des Marktes in Folge eines Downgrades in den Speculative-Bereich herangezogen werden.

Der Gesamtbetrachtung folgte die Analyse der Credit Spreads getrennt nach Investment Grade- und Speculative Grade-Bereich im Zeitablauf. Dabei wurde deutlich, dass der Preis des Kreditrisikos im Zeitablauf nicht konstant ist. Ein Anstieg der Credit Spreads in den Jahren 1990/91 sowie ab 1998 wurde auf erhöhte historische Ausfallraten zurückgeführt. Das gleichzeitige Ansteigen der Ausfallraten über alle Ratingklassen hinweg legte nahe, dass insbesondere makroökonomische Faktoren nicht ausreichend durch Ratings Berücksichtigung finden können. Entsprechend finden Spreaderhöhungen über alle Ratingklassen hinweg simultan statt. Zu Überschneidungen kommt es i.d.R. nicht. Überraschend war jedoch, dass die Spreadzeitreihen zwar gleichzeitig steigen und fallen, jedoch nicht gleichzeitig ihre Minima und Maxima erreichen. Die Spreadabstände variieren erheblich.

Die Simultanbewegung der Credit Spreads wurde in einem weiteren Schritt durch eine Korrelationsanalyse in Verbindung mit einem Granger-Kausalitätstest untermauert. Es konnte mit großer statistischer Sicherheit gezeigt werden, dass die Spreads relativ sicherer Anleihen die Spreads relativ unsicherer Anleihen beeinflussen, wobei die Spreads auf Aaa-Anleihen einen deutlichen Erklärungsbeitrag für alle anderen Spreads liefern.

Die Betrachtung der Abstände zwischen zwei benachbarten Ratingklassen unterstrich zunächst einmal die aus der Gesamtbetrachtung gewonnene Erkenntnis eines überproportionalen Spreadanstiegs. Außerdem zeigte die Betrachtung der Spreaddifferenzen im Zeitablauf, dass auch die Amplitude der Abstände im Zeitablauf Schwankungen unterworfen ist. Die Entwicklung der Differenzen für alle Ratingklassen im Zeitablauf verläuft in der Regel gleichgerichtet, absolut gesehen jedoch nicht mit identischen Ausprägungen. Tendenziell variieren die Spreaddifferenzen niedrigerer Bonitätsstufen stärker. Dies ging einher mit absolut gesehen stärkeren Schwankungen der historischen Ausfallraten niedrigere Ratingklassen. In den schwankenden Ausfallraten ist darüber hinaus auch die Ursache für die zeitlich versetzten Minima und Maxima der Spreadzeitreihen zu sehen.

Die aggregierte Analyse wurde abgeschlossen mit einer ausführlichen Untersuchung der Streuung von Spreads in Abhängigkeit von den jeweiligen Ratingklassen. Erste Gesetzmäßigkeiten lieferte eine Varianzbetrachtung der absoluten Spreads, wonach das Streuungsverhalten von Spreads tendenziell negativ von der Qualität des entsprechenden Ratings abhängig war. Da mit Hilfe dieser Vorgehensweise jedoch keine Aussagen über die dynamische Entwicklung von Spreadschwankungen hergeleitet werden konnten, wurden weitere Transformationen der Spreadzeitreihen durchgeführt. Die Bildung der Ersten Differenzen ließ lediglich vermuten, dass die Spreads in allen Ratingklassen zu Beginn des Beobachtungszeitraums stärker streuten. In einem weiteren Schritt wurden gleitende Volatilitätsschätzer berechnet. Die Volatilitätsbetrachtung ergab überraschenderweise einen positiven Zusammenhang zwischen den Ratings und der Streuung der Spreads. Als Ursache für die widersprüchlichen Ergebnisse wurden die in die Varianzanalyse eingeflossenen absoluten Spreads identifiziert, während die Volatilitätsanalyse auf Spreadrenditen basierte. Absolut gesehen schwanken die Spreads mit abnehmender Bonität stärker. Relativ gesehen kehrt sich das Verhältnis jedoch um.

Die empirische Untersuchung wurde ergänzt durch eine Überprüfung der Informationsgehalt-Hypothese im Rahmen einer ökonometrischen Analyse. Hierzu standen die Spreads für über 3500 US-amerikanische Industrieanleihen zur Verfügung, aus denen gemäß zuvor hergeleiteten Kriterien 36 Anleihen für die genauere Analyse ausgewählt wurden. Die Vorgehensweise des eigentlichen Tests wurde anhand eines konkreten Beispiels erläutert. Dabei wurde deutlich, dass es zur Vermeidung von Fehlinterpretationen notwendig ist, die Spreadentwicklung einer bestimmten Anleihe zunächst um Marktschwankungen zu bereinigen. In Anlehnung hieran wurde der Einfluss von Ratingmaßnahmen methodologisch anhand abnormaler Spreadveränderungen in Form von Regressionsresidualen gemessen. Die Regressionsanalyse führte schließlich zu differenzierten Ergebnissen für Up- und Downgrades. Es stellte sich heraus, dass Upgrades von den Märkten vollständig vorweggenommen werden. Für den Informationsgehalt von Ratings bedeutet diese Feststellung, dass Upgrades lediglich eine Kompensation ohnehin öffentlicher Informationen darstellen. Dagegen konnte bezüglich des Informationsgehalts von Downgrades gefolgert werden, dass diesen sowohl öffentliche als auch den Märkten unbekannte Informationen zugrunde liegen. Zudem konnte gezeigt werden, dass Downgrades im Vergleich zu Upgrades einen stärkeren Einfluss auf die Entwicklung von Bondspreads ausüben.

Die unterschiedlichen Spreadreaktionen von Up- und Downgrades wurden versucht mit Verhaltensansätzen der Behavioral Finance zu erklären. Danach reagieren Investoren zeitnah auf positive Nachrichten in der Hoffnung, dass ihnen keine Gewinne entgehen. Auf der anderen Seite neigen Investoren bei Bekannt werden von negativen Informationen dazu, diese in der Hoffnung auf eine Erholung zu ignorieren. Sie nehmen zunächst eine abwartende Haltung ein. Erst im weiteren Zeitablauf werden verlustreiche Positionen sukzessive aufgelöst.

Der Zusammenhang zwischen Spreads und Ratings wurde anhand begrenzten Datenmaterials analysiert. Eine Überprüfung der Übertragbarkeit der hier präsentierten Ergebnisse auf andere Bereiche wäre wünschenswert. Anzustreben ist beispielsweise die Übertragung der vorgestellten Regressionstechnik auf die Verwendung eines größeren Datensamples, welches möglichst Anleihen mehrerer Branchen enthält. Auf diese Weise ließen sich bei der Beurteilung der Zusammenhänge zwischen Spreads und Ratings zusätzlich Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Unternehmen innerhalb einer Branche sowie Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Branchen berücksichtigen. In diesem Kontext wäre auch eine Untersuchung branchentypischer Zusammenhänge denkbar. Bei entsprechender Datenverfügbarkeit wären weiterhin Untersuchungen von Ratingübergängen zwischen dem Investment Grade- und den Speculative Grade-Bereich interessant. Darüber hinaus könnten speziell Junk-Bonds sowie Staatsanleihen Gegenstand empirischer Untersuchungen werden. Zum tieferen Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Ratings und Credit Spreads ist folglich weitere wissenschaftliche Forschungsarbeit notwendig.